Ein wilder Fasnachtsgottesdienst
Von: Pfr. Andreas Fischer
Am 4. Februar fand im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst zum 21. Mal der Chaiseraugschter Fasnachtsgottesdienst statt. Die lokale Gugge „Grossschtadtchnulleri“ präsentierte ihre Kostüme und führte ihre neu einstudierten Stücke auf. Das diesjährige Thema lautet: „WILD“! Und Theobald, em Pfaff sin Aff, gab im Dialog mit dem Schreibenden, dem reformierten Dorfpfarrer Andreas Fischer, seine Weisheiten zum Besten.
Dr «Pfaff» (Pfarrer Andreas Fischer) im Dialog mit sim Aff Theobald (Fotos: zVg)
Zum ersten Mal in seinem Leben habe er gebückt eine Kirche betreten, witzelte Kimon Sorg, der Major der Grossschtadtchnulleri, nach dem Gottesdienst. Tatsächlich: Seine Löwenlarve ist derart gigantisch gross, dass er auf den Knien durch den Eingang kriechen musste und man als Pfarrer an das Adventslied dachte: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“. Im Kirchenraum präsentierte sich der Lion King dann in seiner ganzen Imposanz. Das Publikum erstarrte, und die Guggen, immerhin auch sie Tiger und Leoparden, folgten handzahm dem Dirigat des Chefs.
Der Einzige, der keine Angst hatte, war Theobald, em Pfaff sin Aff. Für ihn ist der Fasnachtsgottesdienst, den er seit nunmehr neun Jahren mit seinen altklug-vorwitzigen Reden prägt, ein Heimspiel. Und der Kampf gegen Katzen ein Kinderspiel. Im Gespräch mit em Pfaff sim Aff erlaubte sich der Schreibende, bei Theobald nachzufragen, wie es komme, dass er ein Kleid aus Löwenfell trage. Er sei doch Pazifist und Tierschutzaktivist.
Abschied von guten Vorsätzen
Die Antwort lautete: „Pfaff, ich bitt dich sehr, das war Notwehr! Er wollte mich fressen, da hab ich mich vergessen und ihm auf die Fresse gegeben – jetzt ist er tot, und ich bin am Leben. Seither lassen Löwen und Tiger mich in Ruh, ich bin Sieger, ich kann Kung Fu!“
Worauf der Pfarrer irritiert konstantierte: „Und dänn häsch de Skalp de Schniiderin braacht, und die hät der druus es Mänteli gmacht. Susch seisch amigs ‚Du sollst nicht töten!‘ – Prosit Neujahr, die Vorsätz‘ gehn Flöten!“
Nachdenklich antwortete Theobald: „Pazifisten und Christen liefern Waffen, das erstaunt auch mich, den Affen; sie vollziehen die Umkehr von Werten, um die sie sich einst als einzige scherten. Man weiss nicht mehr, was gut ist, was böse. Es bleibt nur zu beten, dass Gott uns erlöse.“
Der Klamauk schien also Tiefe zu gewinnen, doch dann brach es aus Theobald heraus: „Ich spüre ein Gelüste nach der Nordseeküste“ – ein Wunsch, den ihm die Chnulleri noch so gern erfüllten.
Der Pfarrer klagte, ihm sei dieser Song von „Klaus und Klaus“ ein Graus. „Mer mues mängs Bierli trunke haa, zum de tüüfi Sinn vo dem Song z'verschtaa“, vermutete er. Doch Theobald erinnerte den Zürcher daran, dass in Zürich die Dada-Bewegung begann. Deren Message: Stop making sense (dt. Hör auf, einen Sinn zu ergeben)! „Jeder Sinn geht dahin, jede Moral, jedes bürgerliche Ideal. Am Ende von Bildung, Religion und fürstlicher Pracht bleibt --- die Fasnacht.“
Getünchte Gräber
In philosophischen Exkursen, in denen er u.a. Bezug nahm auf das Grimm-Märchen „Der Eisenhans“ und dessen Auslegung durch die Mythenforscher Joseph Campbell und Richard Rohr, erläuterte Theobald den tiefen Sinn der Fasnacht.
Die Menschen, sprach der Affe, seien bemüht, die Fassade zu bewahren – wie die Pharisäer in der Bibel: „Getünchte Gräber seid ihr, würde Jesus sagen, aussen fein säuberlich geputzt, aber innen voll stinkendem Moder. Das ursprüngliche, echte, authentische Leben wird weggesperrt. Es regiert die Bürokratie. Ihr läuft rum wie Teflonpfannen, ja keine Kratzer auf der glatten, glänzenden Fassade. Ihr seid zu Kopien von Kopien von Kopien geworden. Originale? Gibt es nicht mehr!“
Der Pfaff musste seinem Affen Recht geben. In Zeiten, wo Doktorarbeiten mit KI geschrieben werden, entsteht nicht mehr wirklich Neues; man sehnt sich nach eigenständigen Gedanken und kreativen Ideen, Gefühlsausbrüchen und einer Liebeserklärung, die echt von Herzen kommt.
Doch „es ist alles nur geklaut“, antwortete Theobald mit einem von der deutschen Band „Die Prinzen“ geklauten Songtitel. Den gaben die Chnulleri dann zum Besten.
Es ging weiter in diesem Wogen zwischen Unfug und Tiefsinn. Der Affe frotzelte, dass der Pfaff im Gegensatz zur arbeitenden Bevölkerung am Montagmorgen gediegen im Bette liegen bleibe und löste damit einen Diskurs aus, der in den Song „Monday Morning“ der kanadischen Sängerin Melanie Fiona mündete.
Fiona kündigt darin an, dass sie das Kaff verlasse, es sei hier nicht genug Platz für sie zu wachsen. Die Blume könne nicht blühen. Aus einer anderen, eher weiblichen Perspektive, kam noch einmal die Bedeutung der Fasnacht zur Sprache: Raus aus dem Gefängnis, rein ins Leben!
Theobald betet für den Regenwald
Auch bei den Fürbitten schaltete sich Theobald mit seinen Anliegen ein: „Auch ich möchte beten und als Affe bei Gott eintreten für Tiger, Bär und Ozelot – die sind vom Aussterben bedroht. Ich, Theobald, bete für den Regenwald, dass Gott das Biotop erhalt, das der Mensch zerstört. Ob Gott mich wohl erhört?“
Ganz am Schluss – zum Chnulleri-Repertoire, das isch wahr und kein Witz, ghöred au Ländler us de Schwiiz – spielte die Gugge „Im Örgelihuus“. Die Anwesenden wurden vom Pfaffen mit dem Segen Gottes in die Fasnacht geschickt: Im Örgelihuus dine und duss, obs rägnet oder d Sunne lacht, sind gsägnet, de Schutzängel wacht über de Fasnacht.
Dann gab’s, herrjo drnoo, Aperoo.
Andreas Fischer, em Aff sind Pfaff, ist reformierter Pfarrer von und zu Chaiseraugscht.
«fricktal24.ch – die Online-Zeitung fürs Fricktal»